R E N A T A    J A W O R S K A
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Ich bin auch jetzt

 

 

 

 

 

 

 

Text von Andrea Dreher M.A., Kunsthistorikerin Ravensburg

zu der Ausstellung von  RENATA JAWORSKA

"Eine Explosion wie von 30 Atombomben"

 

Renata Jaworska (Geb. 1979), Absolventin der Düsseldorfer Akademie und Meisterschülerin von Prof. Jörg Immendorff, lässt sich nicht ablenken von den farbigen Versprechen unserer Konsumund Warenwelt, sondern sie ist immer auf der Suche nach Bildern, die das Thema Bewegung, Masse und Individuum in sich tragen. So stößt sie auf Vogelschwärme, auf Kriegs- und Krisengebiete, auf verlassenes Unterholz, auf Burka tragende Frauen oder auf bewaffnete Soldaten. Diese in der Realität oder in den Medien wurzelnden Bildvorlagen werden von Renata Jaworska in der Folge einem malerischen und zeichnerischen Prozess unterzogen, der mittels Linie und Format neue Bilder generiert. Die während der Arbeit aufkommenden Fragen übersetzt die Künstlerin unmittelbar in Linien, gekrümmte und gerade, gebündelte oder vereinzelte. In der Linie steckt die Essenz ihrer Gedanken. Die Linie führt zum Ziel oder ins Nichts, häufig verliert sie sich auch im Bild und erobert den Raum nach den ihr eigenen Gesetzen. Angeregt durch die Arbeiten von Renata Jaworska kann man sich als Betrachter in der Tat die Frage stellen, inwieweit unser Leben geprägt ist von der Dominanz und / oder Autonomie der Linie.

 

Konkret fassbaren Linien begegnen wir in der Architektur, in der Inneneinrichtung unserer Häuser, im Straßenverkehr, in Computertabellen, in Fahrplänen, in Schnittmustern usw. Diese Linien strukturieren unser Leben, sie sind sichtbar und wirklich. Nicht unmittelbar und sichtbar, sondern emotional besetzt und nur im Geist vorhanden sind jedoch die Linien, die sich hinter Blickachsen, Sichtachsen, Perspektiven oder Entfernungen verbergen. Diese unsichtbaren Linien entführen uns in die Freiheit unserer Gedanken und unserer Sehnsüchte, sie sind inexistent und geben uns dennoch Halt.

 

Renata Jaworska beschäftigt sich seit langem intensiv mit der Typologie der sichtbaren und unsichtbaren Linie und sie positioniert ihre Malerei dabei auf einer Metaebene, die uns Betrachter zu Denkern werden lässt. Denn das Verständnis dieser Bilder erfolgt weit weniger über Farbe und Form, sondern über Linie und Raum. So setzt Jaworska die Farbe als probates Mittel ein, um Tiefen und Höhen im Bild zu schaffen. Die Farbe ist hierin also Mittel zum Zweck und sucht keine symbolische Verankerung in der Kunstgeschichte. In der Zeichnung sucht die Künstlerin jedoch ganz bewusst die Verortung in der Gegenwart. „Ich bin auch jetzt, sagte sie im Gespräch und betonte dabei die Aktualität ihrer Motive, die alle der globalisierten Welt des frühen 21. Jahrhunderts entspringen. Es sind die Konflikte dieser Welt, es sind die aktuellen Krisenherde, es ist die Massenbevölkerung, es ist der drohende Verlust des Individuums und das Leben mit und im weltweiten Netz, das für die Zeichnungen und Bilder von Renata Jaworska den Nährboden liefert.

Selbst der Ausstellungtitel „Eine Explosion wie von 30 Atombomben“ ist weder ein literarisches Zitat noch eine eigene Invention, sondern zu hundert Prozent dem Titel einer deutschen Tageszeitung entnommen.

Die Künstlerin Renata Jaworska bedient sich auch hier einer realen Vorlage, um darauf ihren künstlerischen Prozess aufzubauen. Dem undurchsichtigen Geflecht von weltweiten Netzwerken trotzt Jaworska mit ihrem Bleistift und will dies durchaus als Mahnung verstanden wissen.

Insbesondere in ihren Zeichnungen gibt es kein Ausweichen für uns Betrachter, sondern nur die direkte Konfrontation mit der schwarz-weiß gesetzten Bildwirklichkeit. Ähnlich direkt und radikal im Werk der Künstlerin behaupten sich ihre kleinen Eisenobjekte, die im vergangenen Jahr während eines Aufenthalts in den USA entstanden sind. Dort war es insbesondere das Motiv der Waffe, das Einzug in das künstlerische Werk von Jaworska fand. Sie hielt erstmals selbst eine echte Waffe in der Hand und hat sogar damit geschossen.

Waffe, Blume und Pinsel sind die Motive, die in den beiden Eisenobjekten ebenbürtig aufeinandertreffen und einen inhaltlichen Wettstreit anregen, dessen Austragung sich die Künstlerin von uns Betrachtern wünscht. „Ich will zu Gesprächen animieren ohne didaktisch zu sein“, sagte sie im Atelier. Denn die Grundlage aller Werke von Renata Jaworska bildet das menschliche Individuum und damit auch die Frage nach unserer Existenz. Der Fokus der Künstlerin verlagert sich hierbei jedoch zunehmend auf unsere virtuelle und mediale Präsenz im World Wide Web, im Fernsehen oder in den Printmedien. Dieser Ansatz steht im Mittelpunkt der neuen großformatigen Arbeiten, wo Jaworska den Bildraum nicht mehr mit dem Pinsel füllt, sondern mit farbigen Linien überzieht und den Stift durch die Spraydose ersetzt. In diesen Bildern spiegelt sich die Hektik unseres Alltags, das schnelle Erhaschen eines Bildes in einer Welt, die dem ständigen Wandel unterzogen ist. Keine Sprechblasen oder Linien, sondern kleine Bilder im Smartphone-Format überziehen diese neuen diffusen Landschaften.

Täglich begegnet die Künstlerin unzähligen Menschen, die ihre Bodensee-Bilder schnell im Handy speichern und nicht nur sie stellt sich die Frage nach der Inflation der Bilder in unserer Zeit.

 

Jaworska plädiert an unser eigenes Erleben und an unsere ureigenen Instinkte, um den richtigen Linien zu folgen. Vielleicht könnten uns die „songlines“ ein Vorbild sein, diese unsichtbaren Linien der australischen Aborigines, die den gesamten Kontinent überziehen und entlang derer die Ahnen wanderten und auf denen die Schöpfungsmythen der Ureinwohner beruhen. Denn was bleibt, ist die Linie.Anders als in der Malerei liegt es im Wesen der Zeichnung begründet, dass Wahrnehmungen unmittelbar übersetzt und Inhalte ausdrucksstark übertragen werden können. Wer zeichnet, setzt Zeichen.

 

Wenn Renata Jaworska zum Stift greift, ist sie sich dieser „Macht“ durchaus bewusst. Mit großer Stringenz arbeitet sie daher an ihrer subtilen, teils kryptisch anmutenden Bildsprache, welche die Informationen so stark verdichtet, dass immer das Wesentliche übrig bleibt: die Linie!

 

©Andrea Dreher M.A., Kunsthistorikerin Ravensburg

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